Wachstum am Ende: Was jetzt?

Das Kuratorium des Denk.Raum.Fresach entschied sich im Sommer 2021 für eine Zwischenbilanz 50 Jahre nach Erscheinen des Club of Rome Reports „Die Grenzen des Wachstums“, um zu erfahren, wie sich der Planet seither entwickelt hat – und wurde mit dieser Themenwahl nicht enttäuscht.

Die Reaktionen schon bei der Programmvorstellung in Wien waren höchst kontrovers und ließen die Wogen auf beiden Seiten – Wachstumsbefürwortern wie Kritikern – hochgehen. Die einen, die da meinten, ohne Wachstum geht gar nichts und wir sollten – mit Degrowth-Spinnereien – nicht die Grundlagen unserer Existenz aufs Spiel setzen, die anderen, die darauf verwiesen, dass die ideo- logischen Grundlagen unseres heutigen Wachstumswahns gar nicht einmal so alt sind.

Die Wachstumsproblematik trifft – gerade im Zusammenhang mit der fortschreitenden Klimaerwärmung – einen Nerv unserer Zeit, und sie fordert Politik und Gesellschaft geradezu heraus, nicht nur die Wirtschaft. Und während sich der Westen den Luxus einer Degrowth-Diskussion leistet und den Klimaschutz zur alles entscheidenden Überlebensfrage hochstilisiert, kämpfen viele Länder des globalen Südens um Teilhabe am Wohlstand und gegen die anhaltende Bevormundung.

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Beiträge von Wilfried Seywald, Hannes Swoboda, Nikolaus Schneider, Franz Alt, Barbara Rauchenwarter, Marlene Streeruwitz, Werner Plumpe, Christine Ax, Dietmar Krug, Norbert Wohlgemuth, Hans Albrecht, Georg Brasseur, Alexander Peer, Egyd Gstättner, Michael Bünker, Helmut Steiner, Trisha Radda, Erini Kalta, Muhammed Dumanli, Estha-Maria Sackl und Manfred Sauer.

Die Anthologie versammelt die wichtigsten Texte
der Europäischen Toleranzgespräche in Fresach 2023.

Mein Beitrag "Wachstum als ewiger Wandel" dringt tief in die Geschichte der euro-asiatischen Seidenstraße ein und versammelt einen Reigen an Ethnien und ihren Schicksalen, die in den Regionen Mittelasiens ihre Macht entfalteten. Dabei zeigen sich wiederholt Beispiele von Megalomanie und von Untergang, von Innovationskraft und von übermenschlicher Anstrengung. Bildstark und detailreich erfährt man auf bloß 12 Seiten viel über die kulturelle Wechselwirkung und hat plastisch vor Augen, wie maßgeblich beide Kontinente ihr Wachstum über diese Verbindung entwickelt haben: Ob Papier oder Seide, ob Textilien oder Lebensmitteln. Immer sind auch Ideen so vom Osten in den Westen gelangt und umgekehrt. Es ist zudem ein Plädoyer für den Austausch und für geopolitischen Frieden.

Wachstum als ewiger Wandel

Eine Anekdote besagt, dass das Kalta Minor in Chiva in der Oase Choresm (altpersisch „gute Erde“) deshalb ein Fragment bleiben musste, weil der Baumeister dem Auftraggeber versprochen hatte, dieser würde bis nach Buchara sehen, wäre das Minarett fertig errichtet.

Heute können Besucher dort einen in türkisen Majolikafliesen leuchtenden, 26 Meter hohen Turm betrachten, der abgeschnitten wirkt. Der Durchmesser beträgt 14 Meter und man kann sich gut vorstellen, dass es hoch hinauf gehen sollte. Doch der Baumeister erkannte wohl, dass er den Mund zu voll genommen hatte. Dieses „kurze Minarett“ konnte nicht zum „Ort des Lichtes“ werden, weil der Größenwahn den architektonischen Geboten im Weg stand. Aber woher kam der Größenwahn? War er ein unvermeidliches Resultat eines Leistungskampfes, mit welchem sich Bauherren phallisch überbieten wollten? Oder ging es wirklich darum, am Himmel anzuklopfen?

Großprojekte stehen immer schon in gefährlicher Konkurrenz zur Vergangenheit. Einerseits ist es der dunkle Schatten, den gescheiterte Vorhaben werfen. Er kann wie ein Omen auf dem neu zu Errichtenden lasten. Andererseits liegt in der Glorie, die Weltwunder und pompöse Bauten unabdingbar schaffen, eine Blendung, das grelle Licht der Größe erschwert die Arbeit an Neuem. Das latente Gebot: Man wird an schier Unmöglichem gemessen und darunter sollte man es nicht geben. (...)

(c) Alexander Peer